Wirtschaftswunder mit Schattenseiten

Kreisarchivar Dr. Lang führt ein in die Ausstellung im Alten Bau

in Geislingen mit Fotos von Wilhelm Pabst aus den 50er und 60er Jahren –

Von Roderich Schmauz

 

„Das war eine atemberaubend dynamische Entwicklung“, so beschreibt Kreisarchivar Dr. Stefan Lang die Wirtschaftswunderzeit der 50er und 60er Jahre im Kreis Göppingen. Lang eröffnete am Samstagnachmittag im Alten Bau in Geislingen die Ausstellung „Wunderbilder“ des Fotojournalisten Wilhelm Pabst. Dieses Wirtschaftswunder habe sich freilich nicht von alleine eingestellt, sondern sei dem hohen Arbeitseinsatz der Bevölkerung zu verdanken gewesen, erinnerte eingangs Oberbürgermeister Frank Dehmer.

 

Dr. Lang gab zu bedenken, dass die Heimatvertriebenen, die es in den Nachkriegsjahren in den Kreis Göppingen verschlagen hat, 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Und schon Anfang der 70er Jahre hätten „Gastarbeiter“ bereits zehn Prozent der Einwohner gestellt. Sie wurden nicht nur dringend in der wieder boomenden Industrieproduktion gebraucht, sondern auch in der Bauwirtschaft. Der Mangel an Wohnungen war extrem, neue Siedlungen wurden deshalb hochgezogen. Angesichts von Zuwachsraten beim Kfz-Verkehr von zehn Prozent pro Jahr mussten zusätzliche und breitere Straßen gebaut werden.

 

„Die Wirtschaftswunderjahre hatten aber auch ihre Schattenseiten“, sagt Lang, die dürfe man nicht unterschlagen. Die Zahl der Verkehrstoten sei damals erschreckend hoch gewesen – Lang sprach zugespitzt von Blutbädern auf den Straßen; durch die chemische Industrie seien die Flüsse, allen voran die Fils, stinkende Brühen gewesen, in denen keine Fische mehr lebte; Kriegsversehrte gehörten zum öffentlichen Straßenbild und erinnerten an den erst wenige Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkrieg. Die Last des Aufschwungs schulterten nach den Worten Langs die Frauen, die neben Haushalt und Familie in Fabriken lange Arbeitszeiten leisten mussten.

 

Der Fortschritt war nicht flächendeckend, sondern erzeugte Ungleichzeitigkeiten: Hier zum Beispiel die neue Wohnsiedlung in Ursenwang, dort, in der Ortsmitte von Auendorf, mit den alten Bauernhäusern, Misthäufen davor und der nicht geteerten Dorfstraße, scheint hingegen die Zeit noch stehen geblieben zu sein.

 

All diese Aspekte finden sich in der Ausstellung in den 33 großformatigen dokumentarischen Schwarz-Weiß-Fotos von Wilhelm Pabst (1921 bis 2009) mit Motiven aus Geislingen und Umgebung. „Es ist eine Auswahl der Auswahl“, erläutert Lang. Im Winter wurden 100 Fotos von Pabst bereits auf Schloss Filseck gezeigt. Doch auch sie stellen einen nur minimalen Ausschnitt seines Werks dar. Er hat dem Kreisarchiv rund 40 000 Fotofilmtaschen hinterlassen. Lang schätzt, dass sie mindestens 500 000 Fotos beinhalten, nur ein kleiner Teil ist bisher gesichtet und erfasst. Immerhin gut 500 Fotos beietet auf seinen 420 Seiten der dicke großformatige Katalog zur „Wunderbilder“-Ausstellung.

 

                                                     

Ungleichzeitigkeiten, von Wilhelm Pabst dokumentiert: Eine Teilansicht der Neubausiedlung Ursenwang 1964. – Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: Die Dorfstraße in Auendorf Ende der 50er Jahre

 

 

Info

Die Ausstellung „Wunderbilder“ ist die ganze Sommersaison über zu den Öffnungszeiten des Museums im Alten Bau in Geislingen zu sehen: dienstags bis sonntags, 15 bis 17 Uhr.

 

 

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