Zweimal Mensch!
Da sitzt er, „Der Kantenhocker“ – nackt – bloß?! Entkernt scheint er zu sein, knochig – nichts Ideales oder Idealisierendes haftet ihm an, wohl aber eine besondere Haltung und ein ausdrucksvolles, klar herausgearbeitetes Gesicht mit leicht melancholischem Ausdruck. Hinzukommt die Betonung seiner „Werkzeuge“ in Form großer Füße und übergroßer Hände, Zangen und Scheren von Insekten nicht unähnlich. Diese werden mit Sorgfalt und Liebe zum Detail erfasst. Rein formal betrachtet greift der Raum hier eher nach dem dünnen Körper der Figur, als dass dieser den Raum verdrängen würde. Das führt dazu, dass die Figur an sich an Standhaftigkeit einbüßen und sich in einem fragilen Gleichgewicht befinden müsste und das tut sie auch, trotz der großen Halt gebenden Füße, denn „Der Kantenhocker“ legt die übergroßen Hände aus dem Schoß heraus und setzt sich dabei auf die Kante. Die Last der Hände und damit die der Arbeit, des Tuns und der Möglichkeiten der Tat, scheinen ihn zu beschweren und förmlich hinabzuziehen – doch, er hält sich. Der Sockel dient hier nicht nur der Präsentation der Figur, sondern ist integraler Bestandteil der Arbeit und unterstützt die mögliche Lesart. Denn er betont sowohl die mögliche Fallhöhe als auch das fragil ausbalancierte Gleichgewicht, in dem sich dieser Tatmensch im übertragenen Sinne gerade noch befindet. Die Arbeit Trillsams bewegt sich in ihrer Anmutung und ihrem Ausdruck gekonnt zwischen Empathie, Witz, Melancholie und Ernsthaftigkeit.
Empathie liegt auch der Arbeit „Christof“ von Doris Vogel zugrunde. Die Arbeit zeigt einen blondgelockten Mann, dessen Gesicht malerisch detailliert herausgearbeitet wurde. Im Gegensatz dazu steht der malerisch nicht annähernd so ausformulierte Körper. Er wirkt eher großzügig mit einer farbigen Lasur erfasst, dabei aber stimmig in den Proportionen und wohl auch mit Blick auf die Haltung. Neben dem Gesicht scheinen die die Person umlagernden Formen, Körper, Strukturen, Farbnebel und Schwaden wichtig zu sein. Sie werden malerisch klar artikuliert und scheinen an der Person zu hängen. Da es sich um ein Portrait handelt, mag man sich fragen, was man hier nun genau gezeigt bekommt? Denn das, was an der Person hängt, nimmt Raum und Platz ein – so, wie Personen eben Raum und Platz einnehmen, wenn sie etwa einen Raum betreten. Es geht um Vibes, die Menschen ausstrahlen und aussenden und die dabei auf ein Gegenüber treffen. Das Gegenüber ist in diesem Falle die Künstlerin Doris Vogel. Sie nimmt wahr, nimmt auf und gibt ohne zu werten oder zu deuten in Formen und Farben wieder, was an Unaussprechlichem zwischen ihr und dem zu Portraitierenden regelrecht vor ihrem inneren Auge erscheint und damit das, was als nonverbaler Austausch zwischen zwei menschlichen Energieträgern passiert. Damit ist hier etwas Thema, das sich nur momenthaft zwischen zwei Menschen in leisen und stillen Momenten einzustellen vermag – in Momenten, die heute so selten sind.
Beiden Werken liegen thematische und konzeptionelle Absichten zugrunde, die die bloße Wiedergabe des Menschen weit hinter sich und sie zu echten Statements werden lassen.
Stefan Renner
Die Ausstellung mit Arbeiten Doris Vogels und Tim David Trillsams ist noch bis zum 3.3.19 in der Galerie im Alten Bau in Geislingen zu sehen.